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18.10.2023

Sind Multivitamine wirklich so gesund?

ETH-Ernährungswissenschaftlerin warnt vor Vergiftungserscheinungen durch Multivitamine.
ETH-Ernährungswissenschaftlerin warnt vor Vergiftungserscheinungen durch Multivitamine. Bild: AdobeStock
Um die Notwendigkeit von Vitaminergänzungsmitteln herauszufinden, hat die Fitnesskette PureGym zusammen mit der ETH-Ernährungswissenschaftlerin Marianne Botta Nutzen und Risiken untersucht. Diese warnt vor Vergiftungserscheinungen durch Multivitamine.

Für viele gelten Nahrungsergänzungsmittel als ideale Lösung, um ihre Gesundheit und Fitness zu verbessern. Eine Studie des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen hat gezeigt, dass stolze 30 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer regelmässig künstlich hergestellte Vitamine und Mineralien konsumieren. 

Um die Notwendigkeit von Vitaminergänzungsmitteln herauszufinden, hat die Fitnesskette PureGym zusammen mit der ETH-Ernährungswissenschaftlerin Marianne Botta Nutzen und Risiken untersucht. «Viele Menschen denken, sie tun sich etwas Gutes, wenn sie am Morgen Vitamintabletten zu sich nehmen. Das ist falsch. Eine Supplementierung ist nur dann sinnvoll, wenn ein entsprechender Nährstoffmangel vorliegt. Das ist sehr individuell», erklärt Marianne Botta, dipl. Lebensmittelwissenschaftlerin ETH und dipl. Fachlehrerin ETH.

Zusammenspiel der Nährstoffe

Ein weiterer Aspekt, der nicht genug thematisiert würde, sei das Zusammenspiel der verschiedenen Nährstoffe: «Es gibt Nährstoffe, die fördern oder hemmen sich gegenseitig bei der Nahrungsaufnahme. So können sich beispielsweise Kalzium, Eisen und Magnesium gegenseitig stören bei gleichzeitiger Einnahme. Ohne zu wissen, ob ein tatsächlicher Mangel vorliegt, greifen manche Menschen beispielsweise bei Muskelkater zu Magnesium. Dadurch wird dann das Kalzium schlechter aufgenommen – was ebenfalls wichtig ist für die Muskeln. Die Mineralien stören sich dann», so Botta. 

Auch der Wissensstand zur Wirksamkeit des jeweiligen Präparats solle beim Einkauf überprüft werden, denn Studien würden belegen, dass künstlich hergestellte Vitamine teilweise nicht gleich wirken wie natürliche. So fand die Select-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) des National Cancer Institute in den USA heraus, dass die Supplementation von Vitamin E nicht vor Krebs schütze, sondern das Krebsrisiko sogar erhöhe. An der Studie nahmen über 35'000 Männer über 35 Jahren teil, wobei geklärt werden sollte, ob sich mit einer täglichen Substitution von 400 mg Vitamin E und 200 µg Selen das Prostatakarzinomrisiko senken lässt. Aus Sicherheitsgründen sei die Studie drei Jahre vor dem geplanten Ende abgebrochen worden.

«Eine Supplementierung kann sinnvoll sein in gewissen Lebensabschnitten oder Momenten, aber nur für gewisse Zeiträume – und nie als Ersatz für eine gesunde Ernährung.»
Marianne Botta, dipl. Lebensmittelwissenschaftlerin ETH und dipl. Fachlehrerin ETH

Erhöhte Dosen können zu Vergiftungserscheinungen führen

Vor der Problematik hochdosierter Nahrungsergänzungsmittel warnt auch Marianne Botta: «Besonders bei den fettlöslichen Vitaminen (wie Vitamin A, D, E und K) sollte beachtet werden, dass sie sich bei einer Überdosis im Fettgewebe des Körpers oder in der Leber ansammeln können, was zu Vergiftungserscheinungen führen kann. Diese sind zwingend nur bei entsprechendem Blutbild zu supplementieren, da sie nicht wie wasserlösliche Vitamine vom Körper ausgeschieden werden.»

Ein ähnlicher Sachverhalt könne sich auch beim klassischen Multivitamin-Präparat zeigen: «Wenn eine junge Frau beispielsweise durch ein All-in-One eine Überdosis an Vitamin A zu sich nimmt und schwanger wird, kann diese erhöhte Konzentration Schäden auslösen am Ungeborenen.» Im besten Fall sei ein Multivitamin nur überflüssig und nicht schädlich, so Botta.

Grundsätzlich seien Multivitamin-Präparate für die meisten Menschen überflüssig. «Ein Multivitamin eignet sich meiner Meinung nach nur dann, wenn der grundsätzliche Vitaminbedarf nicht gedeckt werden kann. Allerdings würde so der Bedarf an Kalorien und Proteinen auch nicht gedeckt werden können. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.»

Ausserdem gelte zu beachten, dass in (Multi-)Vitaminpräparaten keine bioaktiven Substanzen, wie Anthocyane, Carotinoid oder Flavanoid, gesundheitsfördernde Wirkstoffe ohne Nährstoffcharakter, enthalten seien. «Diese Zusatzstoffe kommen besonders zahlreich in Gemüse und Obst vor und können unser Immunsystem schützen sowie krebshemmend wirken.»

«Unseren Vorfahren hat eine natürliche Ernährung ausgereicht, um den täglichen Vitaminbedarf zu decken – ganz ohne Supplements.»
Marianne Botta

Nie nonstop einnehmen

Ein Vitaminpräparat solle zudem nie nonstop eingenommen werden. Wer aufgrund eines Mangels ein Vitaminpräparat ausprobieren möchte, solle dies nur vorübergehend einsetzen. «Eine Supplementierung kann sinnvoll sein in gewissen Lebensabschnitten oder Momenten, aber nur für gewisse Zeiträume – und nie als Ersatz für eine gesunde Ernährung.»

Für diejenigen, die sich mit dem Essen oft überfordert fühlen, hat Marianne Botta einen guten Tipp: «Manchmal lohnt es sich zu überlegen, ob unsere Grossmütter oder Urgrossmütter diese Lebensmittel ebenfalls verzehrt hätten, die wir zu uns nehmen. Unseren Vorfahren hat eine natürliche Ernährung ausgereicht, um den täglichen Vitaminbedarf zu decken – ganz ohne Supplements.»

PD/Zürioberland24