Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Essen & Trinken
29.04.2024

Steaks aus dem Labor

Ein Prototyp eines von Aleph Farms im Labor kultivierten Ribeye-Steaks. (Aleph Farms) B
Ein Prototyp eines von Aleph Farms im Labor kultivierten Ribeye-Steaks. (Aleph Farms) B Bild: LID / Aleph Farms
Fleischähnliche Produkte können bald in Massen produziert werden und sind vielleicht ein Mittel zur Ernährung der unvermindert wachsenden Weltbevölkerung.

Kultiviertes Fleisch wird in einem kontrollierten Umfeld aus Muskelstammzellen von Rindern gezüchtet, die in speziellen Nährmedien zum Wachsen angeregt werden. Diese Methode verspricht, Fleischprodukte zu erzeugen, die nicht nur ressourceneffizienter und klimaschonender sind, sondern auch den Bedarf an tierischem Protein decken können, ohne dass Tiere gehalten und geschlachtet werden müssen.

Der Prozess der Herstellung von kultiviertem Fleisch beginnt mit einer Biopsie von Zellkulturen von einem Tier. «Diese Zellen werden dann in einem Bioreaktor vermehrt, ähnlich wie in einer Bierbrauerei», erklärt Anna Bünter, Mitgründerin des Zürcher Foodtech-Startup Sallea, Anfang März am Ostschweizer Food Forum. Das ETH-Spinn-off fokussiert sich auf die Entwicklung von pflanzlichen 3D-Strukturen, sogenannten Scaffolds, die bei der Kultivierung ganzer Fleischstücke helfen und die Textur von kultiviertem Fleisch verbessern sollen. «Die Zelldifferenzierung zu Muskelzellen geschieht ebenfalls im Bioreaktor – anschliessend können die Muskelzellen beziehungsweise das Fleisch ‹geerntet› werden», erläutert Anna Bünter weiter. Die Produkte, die so aus kultivierten Zellen gewonnen werden können, sind vielfältig: Neben Fleisch sind das auch Fisch, Milchprodukte und Leder.

Regulierung und Zulassung von neuartigen Lebensmitteln in der Schweiz

Trotz geringerem Ressourcenverbrauch und fortschreitender Technik stünden behördliche Zulassungen in Europa aber noch aus, merkt Anna Bünter an: «In einigen Ländern wie Singapur, Israel und den USA gibt es bereits Zulassungen – Europa hingegen hinkt diesbezüglich noch hinterher.» Allerdings sind die Anforderungen in Europa und insbesondere in der Schweiz höher.

Kultiviertes Fleisch wird in der Schweiz, wie in der Europäischen Union, als sogenanntes neuartiges Lebensmittel oder auch «novel food» klassifiziert und unterliegt strengen Regulierungen. Die Sicherheit und Qualität dieser Produkte haben höchste Priorität. «Neuartige Lebensmittel werden sorgfältig geprüft und nur zugelassen, wenn sie für die Konsumentinnen und Konsumenten sicher sind», erklärt Sarah Camenisch, Mediensprecherin des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), auf Anfrage. Hersteller müssen zur Bewilligung ein umfangreiches Dossier einreichen, welches unter anderem toxikologische Untersuchungen beinhaltet, welche die Unbedenklichkeit des Produkts belegen müssen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind eng mit den EU-Vorschriften abgestimmt, was eine harmonisierte Sicherheitsbewertung von neuartigen Lebensmitteln garantiert.

Trotzdem erlebt das Kultivieren von Fleisch in der Schweiz gerade eine wichtige Entwicklungsphase: So hat das BLV im vergangenen Jahr einen ersten Antrag zur Zulassung von kultiviertem Fleisch erhalten und dieser Antrag befindet sich derzeit in einem umfangreichen Bewilligungsverfahren. «Das Bewilligungsverfahren läuft und wird insgesamt zirka zwei Jahre in Anspruch nehmen», bestätigt Sarah Camenisch weiter. Seither seien in der Schweiz aber keine weiteren Gesuche eingereicht worden, ergänzt sie.

Unter anderem Migros setzt auf Laborfleisch

Verantwortlich für das Einreichen des ersten Bewilligungsgesuch für kultiviertes Fleisch ist das israelische Start-up Aleph Farms und Detailhändlerin Migros. Bereits seit 2019 arbeiten beide Unternehmen zusammen und die Migros hat sich in Partnerschaft mit dem israelischen Start-up zum Ziel gesetzt, die innovative Technologie der Produktion von Zellkulturen respektive das daraus resultierende Laborfleisch auf den Schweizer Markt zu bringen. Das Gesuch markiert so den ersten Schritt zur Einführung der weltweit ersten kultivierten Rindersteaks in der Schweiz. Die Migros sieht in dieser Technologie ein enormes Potential, den global steigenden Fleischkonsum nachhaltig zu befriedigen.

«Kultiviertes Fleisch kann dazu beitragen, die Proteinversorgung in Zukunft auf eine nachhaltige Weise sicherzustellen», erläutert Marcel Schlatter, Leiter der Medienstelle beim Migros-Genossenschaftsbund, die Motivation. «Fleisch ohne Schlachtung oder Massentierhaltung, eine deutlich bessere Klimabilanz, kein Antibiotikaeinsatz – das sind Argumente, die für diese Produkte sprechen», erklärt er weiter.

Trotz der vielversprechenden Vorteile von Laborfleisch und der Investition in Technologien zu dessen Produktion räumt der Migros-Medienstellenleiter ein, dass die Einführung und Akzeptanz solcher Produkte nicht unmittelbar bevorstehen: «Wie fast überall im Nahrungsmittelsektor werden aber auch hier die Meinungen heterogen sein – und wir sind auch noch ein Stück weit weg von einer Marktreife», erklärt er. Die anfängliche Einführung von kultiviertem Fleisch wird voraussichtlich in der Gastronomie erfolgen, bevor es dann in den Einzelhandel gelangt. «Das dauert schon noch eine Weile, bis solche Produkte dereinst im Supermarkt verfügbar sein werden», betont Marcel Schlatter.

Wissenschaftler von Aleph Farms analysieren kollagenproduzierende Zellen unter dem Mikroskop. Bild: LID / Daniel Elkayam/Aleph Farms

Kultiviertes Fleisch auch vom Bauernhof?

Für die Technologie zur Herstellung von kultiviertem Fleisch interessiert sich auch die Agrargenossenschaft Fenaco und beteiligt sich seit einem Jahr als Teilsponsorin an einer Machbarkeitsstudie für das Projekt RESPECTfarms. Dieses Projekt zielt darauf ab, Schweizer Landwirtinnen und Landwirten die Produktion von kultiviertem Fleisch auf ihren Höfen zu ermöglichen. «Wir möchten Einblick in den aktuellen Stand der internationalen Forschung und Entwicklung erhalten und dadurch besser abschätzen können, inwiefern die zelluläre Landwirtschaft ein neues Geschäftsfeld für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern darstellt – oder nicht», erläutert Samuel Eckstein von der Unternehmenskommunikation bei Fenaco die Motivation des Unternehmens für diese Beteiligung. Die Unterstützung der Studie, in der Fenaco primär als Geldgeberin auftritt, umfasst einen Beitrag im mittleren fünfstelligen Bereich.

Zum aktuellen Stand der Machbarkeitsstudie äussert sich Samuel Eckstein vorsichtig: «Wir erwarten die ersten Erkenntnisse aus der Machbarkeitsstudie Mitte 2024.» Konkrete Ergebnisse und Bewertungen der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit stehen also noch aus. Angesichts der Prognosen, dass bis zum Jahr 2050 etwa 10 Milliarden Menschen die Erde bevölkern werden, unterstreicht Samuel Eckstein aber die Dringlichkeit, innovative Lösungen in der Land- und Ernährungswirtschaft zu entwickeln. «Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass allein die Nachfrage nach tierischen Proteinen bis 2050 weltweit um mindestens einen Drittel steigt», erklärt er.

Die Land- und Ernährungswirtschaft sei deshalb gefordert, innovative Lösungen für eine effiziente Produktion von Nahrungsmitteln zu finden, welche die Umwelt nicht zusätzlich belasteten. Und dabei sollen die Bäuerinnen und Bauern nicht auf der Strecke bleiben: «Um den ausschliesslich industriell tätigen Unternehmen das Feld nicht zu überlassen, gilt es deshalb zu klären, welche Rolle die Landwirtinnen und Landwirte künftig in der Produktion von neuartigen Lebensmitteln spielen werden», erläutert Samuel Eckstein und betont dabei die Notwendigkeit, die regulären landwirtschaftlichen Strukturen in diese Entwicklungen zu integrieren, um eine nachhaltige und effiziente Nahrungsmittelproduktion sicherzustellen, die die Umwelt nicht zusätzlich belastet.

Akzeptanz und Hürden als Hindernisse

Allerdings bleibt die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch unter den Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten eine Herausforderung für eine dereinst erfolgreiche Einführung von Laborfleisch auf dem hiesigen Markt. Eine Umfrage des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt, dass 66 Prozent der Bevölkerung eher unwahrscheinlich kultiviertes Fleisch probieren würden. «Die Ergebnisse überraschen nicht», kommentiert Marcel Schlatter von der Migros, «Essgewohnheiten ändern sich erfahrungsgemäss nicht über Nacht.» Studien zeigten aber auch eine generelle Offenheit, besonders bei jüngeren Generationen, sagt Anna Bünter von Sallea am Food Forum: «Die Akzeptanz hängt stark von der Kommunikation und den Informationen über die Technologie und die Produkte ab», ergänzt sie. Die Herausforderung dürfte sein, diese Produkte so zu entwickeln, dass sie den geschmacklichen Präferenzen und den lokalen Esskulturen entsprechen.

Zudem müssen sie erschwinglich sein, um eine breite Akzeptanz zu finden. Denn ein weiteres Hindernis für die Marktdurchdringung von kultiviertem Fleisch sind die hohen Produktionskosten. «Kultiviertes Fleisch ist noch sehr teuer und das dürfte wohl auch noch ein Weilchen so bleiben», erklärt Marcel Schlatter weiter. Die wirtschaftliche Rentabilität dieser Produkte hängt stark davon ab, ob die Preise letztendlich unter denen von herkömmlichem Fleisch liegen können. Die Produktionskosten für kultiviertes Fleisch sind aber laut Anna Bünter in den letzten Jahren und Monaten massiv gesunken, von 680’000 Dollar pro Kilogramm auf unter 50 Dollar pro Kilogramm. Durch Massenproduktion könnte die kommerzielle Machbarkeit entscheidend erhöht werden, wann die Produktion allerdings so weit ist, bleibt schwer abzuschätzen.

«Die Perspektive von kultiviertem Fleisch in der Schweiz hängt ausserdem von den Forschungsaktivitäten an führenden Universitäten und Hochschulen ab sowie von den Investitionen und Industriezusammenschlüssen bei Unternehmen wie Migros, Buehler oder Givaudan», betont Anna Bünter am Ostschweizer Food Forum abschliessend. So ist der Übergang zu nicht-tierischen Proteinen und die Zukunft von kultiviertem Fleisch in der Schweiz nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch des Verbraucherverhaltens und der kulturellen Anpassung und ist zusätzlich sowohl von wissenschaftlichen Innovationen wie auch von strategischen Partnerschaften abhängig.

MM, LID / Linth24